Rezensionen

Geschichte in Bildern Band 1 – 3

Oliver Maor – „Die Bildbände bieten auch an unerwarteter Stelle viel Überraschendes“

(Geschichte in Bildern 1 – 3 Kundenrezension Oliver Maor)

Die Bildbände bieten auch an unerwarteter Stelle viel Überraschendes

Bewundert habe ich den großen Kreis der Mitwirkenden, der aus der Namensliste hervorgeht, die am Ende jedes Bandes abgedruckt ist. Sie zeigt eindrucksvoll den hohen Aufwand, den die Mitglieder des Arbeitskreises offenbar betrieben haben, um die Bücher zu erstellen.

Überzeugend und zugleich etwas ungewöhnlich ist die Gliederung einerseits nach Themenschwerpunkten, andererseits nach Ortsteilen. Diese Gliederung hebt sich in wohltuender Weise von den üblichen zeitgeschichtlichen Bildbänden ab, die strikt nach Jahren gegliedert sind und dabei die vorgeblichen wichtigsten Ereignisse des jeweiligen Jahres darzustellen. Die thematische Zusammenstellung erlaubt es einerseits, die Bilder zueinander in einen anderen als einen zeitlichen, und damit oft zufälligen oder durch Hauptthemen einer Epoche geprägten, Kontext zu stellen. Andererseits wird es dem Leser dadurch ermöglicht, rasch Bilder zu den ihn persönlich am meisten interessierenden Themen zu entdecken. Die Gliederung nach Ortsteilen wiederum berücksichtigt, dass die Ortsteile im Einzelnen eine sehr eigenständige Entwicklung hatten und auch weiterhin haben werden. In Kaarst war die Ortspolitik niemals ernsthaft der Versuchung erlegen, eine vermeintliche Stadteinheit herbeizureden und etwa, etwas plastisch formuliert, dem Bewohner der Mittelstraße einreden zu wollen, die Gestaltung des Büttgener Ortskerns sei für ihn ebenso erheblich wie die Umgebung der alten Kirche im alten Dorf von Kaarst.

Erfrischend ist die Ausrichtung am Zielpublikum, nämlich Kaarstern selbst. Besonders deutlich wird dies anhand der zahlreichen Namensnennungen. Es gibt auch im inzwischen anonymer gewordenen Kaarst Familien und damit Familiennamen, die in Kaarst eben jeder kennt, weil sich ihre Mitglieder entweder als Selbstständige betätigt haben, in der Kommunalpolitik oder in Vereinen sehr aktiv sind oder schlicht sehr zahlreich sind.

Hierbei ist es ebenso lobenswert, dass für Gebäude die gebräuchlichen Bezeichnungen erwähnt wurden – wenn auch nicht ganz durchgehend. Müllers Pinte ist eben Müllers Pinte, allenfalls noch das Müpie, auch wenn es bislang kein Pächter gewagt hatte, „Müllers Pinte“ außen heran zu schreiben (sie war allerdings in den 1970ern mit „Müller’s“ - ja, mit dem "Idioten-Apostroph"! - und später mit „Müpie“ beschriftet, teils auch in Verbindung mit der unfreiwillig komischen längeren Bezeichnung "Müllers Piano Eck"). Und das Schreibwarengeschäft nannte eben jeder "Schmitz-Johannes".

Die Bildbände bieten auch an unerwarteter Stelle viel Überraschendes, was ohne das bildliche Erzählen in Vergessenheit geraten würde oder bereits weitgehend vergessen wurde. Viele dieser Ereignisse bleiben trotz der Begleittexte rätselhaft, es fehlen Hintergrundinformationen, die wahrscheinlich großteils auch gar nicht verfügbar sind und deren Darstellung sicherlich Gegenstand eines anderen Vorhabens sein müsste, da ansonsten der Charakter eines Bildbandes verloren ginge:

Wieso etwa wurde im Jahr 1927 per Polizeiverfügung, die offenbar von deutschen Stellen ausging, im Ergebnis der Karneval im Regierungsbezirk Düsseldorf verboten, und war das rechtlich eigentlich auch nach damaligen Stand eigentlich haltbar?

Was außer seiner bloßen Herkunft bewegte damals Berti Vogts, einen gefeierten Star,  offenbar recht viel Zeit auf Büttgener Sparkassenfesten zu verbringen?

War den Kaarstern eigentlich damals bewusst, wie sehr Autobahnbau und -ausfahrt die Stadt verändern würden? Noch globaler: Was wurde eigentlich in der damaligen Gemeinde Kaarst in den Häuserbaujahren der 1960er und 1970er Jahren unternommen, um eine konzeptionell begleitete Stadtentwicklung zu betreiben (außer, dass einem Architektenbüro das Planungsmonopol übertragen wurde und die Gemeinderatsmitglieder sich, wie kolportiert wird, vor der offiziellen Sitzung bei Wilms trafen, um die Bebauungsgebiete vorab informell auf ihre Schollen aufzuteilen)?

Wieso sah das alles in der damaligen Gemeinde Büttgen ganz anders aus?

Weshalb gingen offenbar Männer und Frauen getrennt zur Kirche, wenn die Kaiser-Karl-Straße den Männern vorbehalten war, und wo gingen die Frauen entlang? Interessant sind in diesem Zusammenhang übrigens die Standorte der Kneipen.

Wie kam man auf die aus heutiger Sicht kaum nachvollziehbare Idee, auf der Neusser Straße die Straßenbahn abzureißen und die Straße auf eine offenkundig nicht benötigte Breite zu erweitern? Ich hatte ja immer den Verdacht, dass dahinter zur Zeit des Kalten Krieges in Wahrheit militärische Gründe standen und habe dazu niemals etwas erfahren.

Überraschend in den Schilderungen zum Zweiten Weltkrieg waren sowohl das amerikanische Flugblatt als auch die offenkundige Einbindung der osteuropäischen Zwangsarbeiter in das Familienleben zumindest in einigen Familien.

Insgesamt erwecken die Bände den Eindruck einer ländlichen Gesellschaft, die traditionell darauf konzentriert war, sich um Arbeit, Broterwerb und Familie zu kümmern und ansonsten Feste so zu feiern, wie sie fielen. Bis auf wenige Ausnahmen, etwa im Vorfeld der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, sind größere Diskussionen grundsätzlicher Natur nicht erkennbar. Jede heftige oder weniger heftige Welle, die von der politischen Großwetterlage ausging, rollte scheinbar ungebremst über Kaarst hinweg, dessen Bewohner dann reagierten und zusahen, dass sie irgendwie halbwegs vernünftig mit der Lage zurechtkamen, um sich eben wiederum um Arbeit, Broterwerb, Familie und eben die Feste zu kümmern.

Etwas erschreckend ist die aus vielen Fotos offensichtlich heraus scheinende Armut, die gerade an den Gebäuden und ihren Zuständen erkennbar ist. Gut, es gab stets Ausnahmen. Bei den Baumeisters an der Mittelstraße war scheinbar, zumindest im Vergleich und über die vielen Jahre gesehen, das Geld nicht gerade knapp. Und die Maubisstraße war scheinbar stets eine etwas gehobene Wohnlage. Andererseits führen die Bilder der bäuerlichen, eher ärmlichen kleineren Häuser den Mangel an Wohlstand noch einmal vor Augen. Zu fast allen Zeiten werden die Materialien vorhanden gewesen sein, um solche Häuser ordentlich einzudecken, zu verputzen und zu streichen. Es geschah nicht, vielleicht aus Mangel an Interesse, vielleicht aus Mangel an Geld oder auch Zeit. Aus meiner Kaarster Kindheit und Jugend kenne ich die merkwürdigen Gebäude noch, deren Abriss auch keine Nostalgie aufhalten sollte. Wegen der Skurrilität des Gebäudes sehr gelungen ist die Aufnahme, ohne besondere Wertung, des Fotos der damaligen NGZ-Geschäftsstelle auf der Friedensstraße, gegenüber Pastorelli. Die Ersetzung dieses Gebäudes hätte ich nicht einmal bemerkt, würde der Bildband nicht daran erinnern.

Der Wandel im Stadtbild geht einher mit einem Wandel der Einstellung der Bevölkerung zum eigenen Ort. Inzwischen wird bedachter und systematischer geplant, die Ortsmitte von Kaarst ist schon deutlich innovativer und gewagter geworden, und die Kunstobjekte am Nordkanal erstaunen nun wirklich. Etwas anderes fällt den Kaarstern, die dort leben, offenbar nicht recht auf, und das verdeutlicht der Bildband: Auf den alten Fotos wirkt Kaarst insgesamt sehr „luftig“, und diese damals freilich ungeplante Großzügigkeit fehlt heute andererseits. Erschreckt hatte mich vor einigen Monaten, als ich in Kaarst war, vor allem die Bebauung im Bereich der alten Stodiek-Fabrik und in dem Bereich, in dem sich früher das Kaarster (und nicht das Holzbüttger) Famka befand, an der Industriestraße. Als inzwischen langjähriger Berliner empfinde ich es dort als eng und dicht, und die Verkehrssituation ist dort schwer erträglich, vielleicht auch, weil die meisten Kaarster die Gewohnheit haben, fast alle Strecken innerorts mit dem Auto zurückzulegen und zugleich nicht auf die Idee kommen, vierspurige Straßen anzulegen.

Für weitere Bildbände werden sicherlich noch Themen und Fotos vorhanden sein. Ich würde mich über einen weiteren Band freuen — und auf eine Neuauflage des ersten Bandes, den ich zwar in der Hand hielt, doch nicht besitze, weil er vergriffen ist.

 

Beste Grüße

Oliver Maor

 
Oliver Maor ist in Neuss geboren und in Kaarst aufgewachsen.
Der im Jahr 1971 geborene Jurist lebt nun in Berlin.
 
Westdeutsche Zeitung
 

WZ, 29. Juli 2008

Kaarster Stadtspiegel – „Geschichts-Detektive – der Vergangenheit auf der Spur“

„Geschichts-Detektive“ – der Vergangenheit auf der Spur

 

Wer weiß heutzutage noch, warum die Kaiser-Karl-Straße in den 50er Jahren im Volksmund „Männerjass“ genannt wurde? Oder erinnert sich jemand daran, dass es in den 50er Jahren in Büttgen ein Kino gab? Der Bildband „Geschichte in Bildern“ lädt ein zu einer Zeitreise durch die fünf Ortsteile. Genau das richtige Weihnachtsgeschenk für alle, die auf unterhaltsame Weise etwas über die Geschichte ihrer Heimatstadt erfahren möchten.

Kaarst. Vor vier Jahren hatte der Arbeitskreis „Stadtgeschichte im Stadtarchiv Kaarst – 1890 bis 1990“ unter Leitung des Stadtarchivars Peter Brinkmann die Erstausgabe des Geschichtsschmökers herausgebracht. „Es wurde schnell deutlich, dass wir mit einem Buch nicht auskommen“, erinnert sich Brinkmann an die zahlreichen alten Aufnahmen.

Und so entwickelte sich die „Geschichte in Bildern“ zu einem „Dauerbrenner“. Band 1 ist mit einer Auflage von 2.000 Exemplaren vergriffen, Band 2 und 3 sind noch zu haben, Band 4 ist in Vorbereitung. Doch bevor der fertiggestellt ist, wird es wieder zwei Jahre dauern: Die Arbeit an den Bildbänden gleicht einer akribischen Detektivarbeit. Oft werden Fotos ohne Informationen von Bürgern zur Verfügung gestellt. Google hilft hier nicht weiter, also werden die „Suchmaschinen auf zwei Beinen“ aktiviert. „Wir haben hier aus allen Ortsteilen Originale sitzen; das sind lebende Lexika und es ist hochinteressant zu hören, was sie über Kaarst wissen“, sagt Hubert Schlabbers (56), seit sechs Jahren Mitglied des Arbeitskreises. Wo könnte das Foto entstanden sein? Wer ist darauf zu sehen? Wann ist es entstanden? Zur Beantwortung dieser Fragen wird auch schon mal vor Ort recherchiert, an Haustüren geklingelt, ältere Mitbürger werden befragt. Für Hans Töller ist das nichts Neues: Er hat sich 15 Jahre lang mit seinem Driescher Heimatkalender um die Dokumentation der Geschichte des beschaulichen Ortsteils verdient gemacht und arbeitet seit einigen Monaten im Arbeitskreis mit. Mit seinem 57 Jahren gehört er zur jüngeren Generation der Geschichts-Truppe, ältestes Mitglied ist Hans Hüsen (81). „Aber wir haben zehn Jahre zu spät angefangen“, weiß Hans Welter (70), „früher hat man sich viel erzählt, doch es wurde nichts aufwiegeschrieben“.

Und dieses Wissen droht verloren zu gehen. „Es kann passieren, dass wir uns jahrelang an einem Bild festbeißen - und dennoch gibt es ungelöste Fälle“, so Hans Töller.

Aber die Geschichts-Detektive geben nicht auf, und so ist auch in Band 3 lokale „Geschichte in Bildern“ zu sehen. Rund 700 Fotos gewähren Rückblicke auf „Alltag und Straßenbild“, „Sport vor Ort“, „Karnevals-Brauchtum“ und „Kirche im Dorf“. Der Betrachter des Buches kann miterleben, wie die Frauen des Kegelclubs „Gute Laune“ im Jahr 1957 in die Vollen gehen, Arno-Moritz Thienelt vergibt 1997 beim Büttgener Radrennen den „Kroatzbeer-Preis“. Die „Eingeborenen von Trizonesien“ treiben im Karneval 1952 ihr Unwesen. Und ganz nebenbei erfährt der Leser, was zum Beispiel ein „Fujeck“ ist und was beim „Bonnekivvele“ geschieht. Peter Brinkmann: „Alteingesessene können beim Betrachten des Bildmaterials in Erinnerungen schwelgen, zum anderen soll dieser Band dazu beitragen, Neubürgern ihr neues Zuhause näher zu bringen.“ Verleger Frank Ahlert, mit seinen 44 Jahren das „Küken“ im Arbeitskreis, hat das Bildmaterial bestens aufgearbeitet, der historische Charakter der Fotos bleibt erhalten. Der Bildband, erschienen im ah! Erlebnis Verlag Mönchengladbach, ist zum Preis von 19,70 Euro im Buchhandel erhältlich.

von Rolf Retzlaff, Kaarster Stadtspiegel, 15. Dezember 2010
 
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